Island - auf nach Snæfellsnes

Wir nähern uns dem Ende unserer Islandreise. Genau zwei Berichte fehlen noch und dies ist einer davon.
Akureyri verlassen wir im Schein der lange vermissten Sonne und bei blauem Himmel. Kalt ist es geworden, der kurze isländische Sommer scheint entgültig vorbei. Auf den Gipfeln erkennt man den ersten neugefallenen Schnee, wie eine hauchdünne Schicht aus Puderzucker krönt er die Berge. Wir wollen zur Halbinsel Snæfellsnes, in die Nähe von Stykkishólmur, das mit zirka 1100 Einwohnern an der Nordküste liegend der größte Ort dieser Halbinsel ist. Eine Zwischenübernachtung haben wir eingeplant, da auf dem Weg dorthin auch wieder einiges Interessantes liegt.
Erster Stop: das Torfgehöft Glaumbær. Unser Reiseführer schreibt dazu, dass kaum eine Reisegruppe diesen Museumshof links liegen lässt, was im Sommer wohl dazu führen soll, dass die kleinen Torfhäuser aus den Nähten zu platzen drohen. Davon können wir nicht berichten. Außer einem asiatischen Paar, das mit Stativ und Kamera bewaffnet in Abendgarderobe dort auftaucht, um die obligatorischen, romantischen Fotos ihrer Hochzeitsreise zu schießen, klappernd in der Kälte, aber mit einem breiten Lächeln im Gesicht, sind wir so gut wie allein dort unterwegs. Mit seinen 6 weißen Giebeln und 13 Räumen handelt es sich um einen recht großen Hof und heute unter dem strahlend blauen Himmel, könnte man sich vorstellen, dass das Leben hier ein leichtes gewesen ist. Doch ich denke, dass das täuscht.
All diese verwinkelten Räume, die Gänge, die die Häuschen miteinander verbinden, ohne dass man ins Freie treten muss, geben einen hervorragenden Einblick in die ursprüngliche Lebensweise hier auf Island. Auf jeden Fall empfehlenswert.
Danach wollen wir baden gehen. Strahlender Sonnenschein, 9° Außentemperatur, das ist doch genau das richtige Wetter dafür. Langsam kriegen wir eine isländische Seele. Wir haben die Ringstraße bei Varmahlíð sowieso schon verlassen, um den Museumshof zu erreichen und nun gehts weiter Richtung Norden bis Sauðárkrókur. Von hier führt die 17 Kilometer lange Schotterpiste 748 zum verlassenen Hof Reykir an dem die Thermalquelle Grettislaug liegt. Übrigens direkt am Atlantik, gegen die heftigen, kalten Winde durch eine Felsmauer geschützt. 
Außer uns ist tatsächlich niemand dort im Wasser, das wirklich ziemlich heiß ist, in einem der Becken so heiß, dass ich es nicht hineinschaffe. Das Becken ist ein wenig moosig und glitschig, doch in dieser grandiosen Kulisse im wohlig warmen Nass zu sitzen ist unbezahlbar. Wir bleiben eine ganze Weile. Eine Gruppe Kanadier ist mit einer kleinen Fähre von der Insel Drangey zurückgekommen, die Damen und Herren lassen sich ebenfalls zu Wasser und während die Sonne fröhliches Lächeln auf die Gesichter zaubert, kommt man hier schnell miteinander ins Gespräch. Diese Thermalbecken sind einfach unheimlich kommunikationsfördernd.
Auf einer Wiese gibt es dann noch ein Picknick bevor wir weiterfahren. 
Unsere Zwischenübernachtung lasse ich besser unerwähnt, die Hütte auf einem Campingplatz bei Blönduós ist die schlechteste Übernachtungsstätte auf unserer Reise, dabei aber nicht die günstigste, und die Herren in der Rezeption sind nicht nur maulfaul, sondern wirklich schon unhöflich
Snæfellsnes  ist eine Offenbarung, die von uns gewählte Strecke eine Herausforderung - sie ist zwar die direkteste Verbindung, besteht aber fast nur aus Schotterstraßen. Wir haben das Gefühl im ursprünglichen Island angekommen zu sein, die Landschaft ist karg und faszinierend und da wir inzwischen fast September haben, sind außer uns nur noch wenige andere Reisende unterwegs. Wie schön.
Unsere Hütte in der Nähe von Stykkishólmur ist wunderbar ausgestattet und bescherrt uns den schönsten Sonnenuntergang unserer Reise. Fast schon kitschig!
Am nächsten Morgen spannt sich erneut ein blauer Himmel über der fantastischen Landschaft. Wir machen uns auf den Weg jenen sagenumwobenen Vulkan aus Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde zu entdecken. Den Snæfellsjökull. Hoffen, dass er sich nicht hinter den in der Ferne tiefhängenden Wolken versteckt.
Die Landschaft durch die wir fahren, hat etwas geradezu mystisches.Wir kommen am Kirkjufell vorbei, einem steilen Berg, der mich ein wenig an den Zuckerhut erinnert, seinen Namen aber erhalten hat wegen seiner kirchturmartigen Form. Also, bei mir sehen die Kirchtürme irgendwie anders aus. Unweit davon gibt es dann auch den Kirkjufellsfoss, ein beliebtes Fotomotiv in dieser Gegend. Für sich betrachtet eigentlich gar nicht so ein außergewöhnlicher Wasserfall, in Verbindung mit dem dahinter liegenden Berg schon ein Augenschmaus. Kalt ist es, als wir hinaufwandern, tatsächlich Zeit auch die Handschuhe aus dem Gepäck zu holen.
Der Snæfellsjökull, dieser Zauberberg, verbirgt heute leider sein Gesicht vor uns. Seine perfekte Form können wir zumindest erahnen, doch der Gipfel ist verschleiert. Als würde er nicht jedem seine Schönheit schenken wollen. Während wir auf einem Parkplatz in der kalten Sonne sitzend unser Essen verzehren, betrachten wir ihn schmachtend.
Versuchen danach ihn zu umrunden, doch er gönnt uns keinen Blick auf sein Antlitz.
Stattdessen beäugen uns die Schafe interessiert von der Straße aus, fast als würden sie sich über uns amüsieren. Snæfellsnes gefällt mir wirklich ausgesprochen gut, hat noch so etwas ursprüngliches. Ich kann nur jedem raten diese Halbinsel bei einer Rundreise nicht auszuklammern.
Auf dem Rückweg zu unserem Ferienhaus halten wir noch an einem besonderem Hof. Hier kann man den fermentierten Grönlandhai erwerben... und auch kosten. Ob wir uns das wohl trauen werden?
Vielleicht sollte ich erst einmal erzählen was das eigentlich ist. Fermentierter Grönlandhai. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat so ein Grönlandhai keine Nieren und reichert deshalb Harnstoffe im Blut an. Das frische Fleisch wäre für Menschen giftig. Also lässt man den Hai erst einmal verrotten. In spezielen Kisten oder Gruben. Mehrere Wochen lang. Dadurch wird Ammoniak freigesetzt. Danach wird das Haifleisch für etwa zwei bis vier Monate in eine offene Trockenhütte gehängt, damit das Ammoniak, das beim Verrotten freigesetzt wurde, verdunsten kann. Die Kruste wird dann entfernt und das weiße Fleisch in kleinen, mundgerechten Stücken serviert. Erinnert ein wenig an fetten Speck. Also vom Aussehen her. Vom Geruch eher weniger.
Tatsächlich stinkt es weniger stark als ich dachte. Und aufgepiekst mit einem Stück Vollkornbrot kann man das ganze auch tatsächlich essen. Meine Leibspeise wird es wohl nicht werden, aber es ist nur halb so schlimm wie ich dachte.

Am nächsten Morgen finden wir uns im Hafen von Stykkishólmur ein, übrigens ein ganz zauberhaftes Städtchen. Wir wollen von hier zu einer Viking-Sushi-Fahrt starten, die wir am Abend zuvor gebucht haben. Die Fahrt führt uns durch die Inselwelt im Breiðafjörður, der die Halbinsel Snæfellsnes von den Westfjorden trennt. Wieviele es genau sind weiß man nicht, ihre Zahl wird auf 2500 geschätzt. Manche sind winzig klein, manche größer, alle sind wahre Vogelparadiese.
Es ist kalt hier auf dem Wasser, aber die Landschaft von einer ruhigen in blau getauchten Schönheit, die ihresgleichen sucht. Irgendwann wird das Netz ins Wasser gelassen, eine Weile über den Meeresboden geschleppt und schließlich wieder eingeholt. Als es an Deck ausgekippt wird, ergießt sich die bunte Vielfalt des Meeres auf eine Art Blechtisch.
Mit Messern bewaffnet geht es dem Meeresgetier ans Leben. Eigentlich ist Sushi so gar nicht meins, aber das hier ist durchaus lecker. Schwierig ist es nur sich gegen so eine Art russischen Napoleon durchzusetzen, der sich stets so geschickt positioniert und alles abgreift, was ihm essenswert erscheint, bevor jemand anderes die Möglichkeit hat zuzugreifen. Leute gibts...
Dieser Tag ist unser Hochzeitstag, so fahren wir am Abend erneut nach  Stykkishólmur hinein, um richtig gut essen zu gehen. Und das Essen ist auch wirklich fabelhaft. Leider ist das aber auch der Moment, an dem sich mein Provisorium verabschiedet. Beide Schneidezähne beschließen, dass es nun genug ist und sagen tschüss. Resultat: eine großartige Zahnlücke sobald ich den Mund aufmache. Ich weiß nicht so genau, ob ich nun lachen oder weinen soll. Lass das Provisorium verschämt in einer Serviette verschwinden. Verzehre das butterweiche Lammfilet mit gesenktem Kopf. Schweigend. Drei Tage Island liegen noch vor uns. Ich werde wenig sagen. Und stets mit geschlossenem Mund lächeln.



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