Unterwegs im Bunkerwald

Kennt ihr das auch? Orte, die zwei oder mehr Namen haben? Einen offizielen. Oder auch mehrere. Und einen, den diejenigen benutzen, die dort wohnen? An so einem Ort war ich heute. Offiziell heißt er "Borghorster Elblandschaft". Oder auch "Besenhorster Sandberge". Bei uns heißt er nur Bunkerwald.
Woher der Name kommt ist naheliegend. Natürlich von den Bunkern, die dort überwuchert von Grün, zersprengt von starken Wurzeln, wie stumme Zeitzeugen zwischen den Bäumen ausharren. Beton für die Ewigkeit. Oder was man so dafür hielt.
Wie aber kommen diese Bunkerreste hier an Hamburgs östlichen Stadtrand? Mitten in den Wald? Durch den heute hauptsächlich Reiter auf den sandigen Pfaden unterwegs sind. Ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, was sich abseits der Wege hinter dem Grün versteckt. Und vor allen Dingen warum.
Dieses idyllische Dünengelände war früher Teil einer Pulverfabrikationsanlage. Wer heute durch den Wald stapft, kann sich sicher kaum vorstellen, dass hier einst 340 Gebäude in den Sanddünen standen. Birke hieß der neue Betriebsteil - eine Erweiterung der Pulverfabrik der Dynamit Nobel AG -, der 1937 hier entstand. Schwarzpulver war damals ein gefragtes Gut, wie wir alle wissen. Man brauchte reichlich davon, um die anderen Völker besser ins Jenseits befördern zu können. 
Tatsächlich gab es in Geesthacht (für alle, die das nicht kennen, ein Städtchen am östlichen Rand Hamburgs) seit den Achtzehnhundersiebzigern bereits eine Pulverfabrik - die Pulverfabrik Düneberg - die lediglich nach dem ersten Weltkrieg so friedliche Dinge wie Fußbodenbeläge produzieren musste, da die Produktionsanlagen 1918 von den Siegermächten abtransportiert worden waren.
Heute träumen hier die Maiglöckchen im Sonnenlicht, warten Pusteblumen auf sanften Wind, um sich am Waldboden vermehren zu können, wächst der Farn durch den bemoosten Beton. Alles wirkt so friedlich und die Stille wird nur von den summenden, blutgierigen Mücken gestört.  Gut, dass ich keine kurze Hose angezogen habe.
Während des 2. Weltkrieges war es hier sicher nicht so ruhig. Tausende von Arbeitern, Angestellten und Zwangsarbeitern stellten hier Munition und Sprengstoffe her. Es gab sogar eine direkte Zugverbindung vom Hamburger Hauptbahnhof bis zur Produktionsstätte in Krümmel. Niemand durfte auf das Fabrikgelände, Produktionsprozesse und überhaupt alles war geheim. Gebäude wurden getarnt, indem man die Dächer bepflanzte.
Heute sind nicht nur die Dächer bepflanzt, sondern ganze Bäume wachsen durch die Betonreste. Graffitis zieren das triste Grau, aus dem die verrosteten Reste der Eisenbewehrung ragen, Farn wächst in den Ritzen und Moos in den dunklen Spalten. Eine leere Bierflasche kullert mir entgegen, als ich den schmalen Pfad zu einem Bunkerrest hinaufkraxle. Hier scheint der ein oder andere durchaus einen Platz zum feiern zu vermuten. Und ihn auch so zu nutzen.
Im Bunkerwald finden sich viele Warnhinweise. Die Wege soll man nicht verlassen. Lebensgefahr. Zu viele Spalten, die verborgen sind, zuviele durch den Zahn der Zeit fragil gewordene Baugerippe. Doch natürlich halten sich nicht alle daran. Ich auch nicht. Liegen doch so viele Geheimnisse hier zwischen den Bäumen verborgen. Wispert das Abenteuer: Komm. Komm...
Fast während der gesamten Kriegszeit konnte die Produktion von Munition und Sprengstoffen hier unbehelligt stattfinden. Erst kurz vor Kriegsende, im April 1945 kam es zu schweren Luftangriffen. Schließlich besetzten britische Truppen das Werk. Die Werksanlagen wurden demontiert und danach begann man die Anlagen und Gebäude zu sprengen und in den Fünfzigern entfernte der Munitionsräumdienst des Landes Schleswig-Holstein Chemikalien und Sprengstoffe.
Wenn man das Internet durchforstet findet man einige seltsame Geschichten von zerquetschten Fässern mit weißen Substanzen, die in den Ruinen gefunden wurden, von geheimen Treppen und Gängen und andere Ungereimtheiten mehr. Wer hier einmal spazieren geht wird verstehen, dass dieser Ort solche Geschichten hervorbringen muss. Er riecht förmlich nach Geheimnissen.
Doch auch wenn all diese Bunker nicht zwischen den Bäumen im sandigen Boden den Geist der Geschichte ausströmen würden, wäre ein Spaziergang hier immer noch eine Freude. Kiefernadelduft liegt in der Luft, gelbe Schmetterlinge strecken ihre filigranen Flügel den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen, irgendwo in der Ferne hämmert ein Specht rhythmisch gegen einen Baum und auf den Pferdeäpfeln träumen die Schmeißfliegen von einem besseren Leben. Ja, wirklich. Immer wenn ich vorbeigehe, steigen sie in Wolken auf, um sich dann erneut auf den warmen Hinterlassenschaften der Rosse niederzulassen. Das Leben ist ein Kreis. Im Bunkerwald kann man das spüren.


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