Von St. Lucia nach Port Alfred - das andere Südafrika

Normalerweise fliegt man von Durban nach Port Elizabeth oder gleich nach Kapstadt, die Durchquerung des ehemaligen Homelands Transkei, das heute zur Provinz Eastern Cape gehört, galt lange Zeit nicht nur als anstrengend, sondern unter weißen Südafrikanern auch durchaus als gefährlich.
Dazu habe ich bisher keine Erfahrungen sammeln können, bei unserer ersten Reise sind wir, wie die meisten anderen auch von Durban aus geflogen. Diesmal wollen wir es anders machen - das tun wir übrigens gerne mal - und fahren von St. Lucia aus Richtung Süden. Unser nächstes Ziel ist der Addo Elephant Park, aber natürlich haben wir bis dort noch zwei Zwischenübernachtungen eingebaut, eine in Kokstad und die zweite in Port Alfred. Schon das entpuppte sich als nicht ganz einfach, allzuviele Unterkünfte in der Nähe der N2 habe ich im Vorfeld nicht finden können.
Von St. Lucia über Durban bis Port Shepstone ist die N2 gut ausgebaut und einfach zu befahren. Es gibt Rastplätze, Tankstellen und alles was der Reisende so benötigt. Südlich von Port Shepstone entfernt sich die N2 von der Küste und schraubt sich langsam höher. Irgendwo hier wollen wir Pause machen und etwas essen. Aber wir finden nichts. Jedenfalls nichts, was nicht Ewigkeiten von der N2 entfernt läge. Oder - wie ich selbstkritisch sagen muss - wo wir uns als zartbesaitete Mitteleuropäer wohl fühlen würden.
Tatsächlich ändert sich die Umgebung unmerklich, bunte Rondavels in mint, lila oder rosa und einfache Hütten verteilen sich wie Farbklekse in den Hügeln. Kühe und Ziegen finden sich vermehrt an den Straßenrändern oder auch gleich direkt auf der Straße, Fahrzeuge, die nicht immer so wirklich straßentauglich aussehen, stoppen abrupt oder fahren an, ohne dass man es vorher erahnen könnte. Das Fahren wird schwieriger. Besonders wenn es uns durch die kleinen Ortschaften führt, die uns das Gefühl geben, dass sich hier wirklich jedes Lebewesen aus einem Umkreis von mindestens 20 Kilometern auf dieser einen Durchfahrtsstraße aufhält. Es ist staubig, vielfach vermüllt und unheimlich wuselig. Zusätzlich wird unsere Geschwindigkeit durch zahlreiche Baustellen gemindert, an denen dick vermumte Menschen mit roten Fahnen winkend zur Vorsicht mahnen. Oftmals werden die Strecken einspurig und man steht schon mal deutlich länger als zehn Minuten, bevor man an der Baustelle ein "go" bekommt. Während bei uns die Technik den Verkehrsfluss regelt, wird in Südafrika Manpower eingesetzt, Arbeitskraft ist billig und so gibt es hier Menschen, die den ganzen Tag oder auch während der Nacht die roten Fahnen schwenken oder ein Schild von "stop" auf "go" umdrehen. Was für uns seltsam anmutet, macht hier durchaus Sinn, die Menschen sind arm und auf jede noch so kleine Einkommensmöglichkeit angewiesen.
Wir halten schließlich in Harding an einem Einkaufszentrum und stellen bereits beim Aussteigen fest, dass wir wohl fast die einzigen Weißen hier sind. Auch ein besonderes Gefühl, das sich erst einstellen kann, wenn man die typischen Touristengebiete verlässt. Unseren Hunger können wir hier auf jeden Fall stillen, es gibt gleich mehrere Imbisse. Wir entscheiden uns für das Honchos, eine Kette, die wir nicht kennen und halten kurze Zeit später ziemlich spicyge Hähnchenteile in unseren Händen. Unsere Unkenntnis des Prozedere und die Sprachschwierigkeiten sorgen für reichlich Gelächter bei den Damen hinter dem Tresen.
Nach sieben Stunden Fahrt erreichen wir endlich unser eingezäuntes Gästehaus in Kokstad. Es liegt an einer unbefestigten Straße in unmittelbarer Nachbarschaft einer Art Township. Seltsam wie man sich da fühlt. Als wäre man in zwei Welten unterwegs, die sich gegenseitig ausspähen und misstrauen. Wie priviligiert wir leben... Und obwohl ich persönlich wahrscheinlich keine Verantwortung dafür trage, macht diese Ungleichheit, dass ich mich schuldig fühle. Warum geht es mir so gut? Und anderen so schlecht? Ungerechtigkeit war schon immer etwas, das ich nur schwer ertragen konnte.
Wir verbringen den Abend in unserem Zimmer, verspeisen unsere Reste, spülen das ganze mit dem kläglichen Rest unseres Weines herunter und gehen früh ins Bett, froh darüber, dass auch hier eine Heizdecke für angenehme Temperatur sorgt. Kokstad liegt auf 1300 Meter Höhe, es ist südafrikanischer Winter und außerhalb unseres Bettes ist es auch im Zimmer eisekalt, vor der Tür des Gästehauses knapp oberhalb des Gefrierpunktes. Von reichlich Hundegebell begleitet schlafen wir trotzdem schnell ein.
Am nächsten Tag sind wir bereits um 7 Uhr wieder auf der Straße. Die Prognose von Google sagt sieben Stunden Fahrzeit für die verbleibenden 500 Kilometer. Ohne Pause, versteht sich, und wenn nichts schief geht.
Unsere Gastgeberin hat uns ein reichliches Frühstück eingepackt, großartige selbstgemachte Sandwiches, Kaffee, Muffins, Joghurt, so viel, dass wir das alles gar nicht werden essen können. Nach zweistündiger Fahrt durch hügelige Landschaft mit pastellfarbenen Rondavels, halten wir, um am Straßenrand ein Stehpicknick zu machen. Wahrscheinlich eher unüblich in dieser Gegend, denn wir ernten reichlich Gewinke, Gehupe und breites Grinsen aus den vorbeikommenden Fahrzeugen. Ordentlich gesättigt gehts weiter, nachdem wir noch kurz hinter den Büschen verschwunden sind. Toiletten unterwegs auf dieser Strecke? Fehlanzeige!
Wir kommen quählend langsam voran. Was am ersten Tag auf der Fahrt noch irgendwie pittoresk und authentisch erschien, wirkt inzwischen eintönig, ermüdet uns. Die Ortschaften, durch die wir unseren Fiesta quählen, die gestern noch interessant und fremdartig waren, sind heute einfach nur noch anstrengend. Überall weht Plastik durch die Gegend, fängt sich in Büschen und Bäumen, hängt an den Zäunen, flattert im Wind. Müll liegt an der Straße und zwischen den Gebäuden. Nicht dass mir die Hintergründe nicht klar wären, Armut und vernünftige Müllbeseitigung geht selten zusammen. Doch von überall starrt sie uns an, die Armut. Zermürbt uns, lässt zumindest in mir ein ständiges Schuldgefühl erwachsen.
Die größte Stadt durch die wir fahren - mit dem seltsamen Namen Mthatha - scheint auch nichts Schönes zu bieten zu haben. Jedenfalls für unsere europäischen Augen. Was natürlich ein subjektiver Eindruck und möglicherweise totaler Quatsch ist. In Mthatha gibt es sogar Hochhäuser, die in dieser Umgebung irgendwie völlig deplatziert wirken. Ich blättere in unserem Reiseführer und lese, dass das einzig Sehenswerte hier das Nelson Mandela Museum ist und dass dieser im  30 Kilometer entfernten Dorf Qunu seine Kindheit verbracht hat. Klar, die ehemalige Transkei war das Homeland des Xhosa Volkes. Eine Universität gibt es hier auch, von der just in dem Moment eine Demonstration startet, als wir dort vorbeifahren. Worum es geht, wissen wir nicht, aber irgendwie fühlen wir uns erneut fehl am Platz - zwei weiße Touristen in ihrem Mietauto neben all den in die Luft gestreckten farbigen Fäusten.
Weiter gehts, es ist immer noch eine Menge Strecke übrig. Und natürlich ist nicht alles was wir sehen unschön. Der mit Wolken gesprenkelte Himmel überspannt eine teilweise wunderschöne Landschaft, Menschen gehen ihrem Tagewerk nach, Tiere kreuzen unsere Wege, ich bin mir sicher, würden wir die N2 verlassen und Richtung Wildcoast fahren, wären wir begeistert. Doch dafür fehlt uns die Zeit, dann hätten wir anders planen müssen.
Zu guter Letzt, als nur noch wenig mehr als 100 Kilometer vor uns liegen, passiert das, was man sich als Reisender in Südafrika schon einmal gar nicht wünscht. Die Polizei hält uns an. Wegen der vielen Lastwagen, die sich die Steigungen hinaufquählen, wird auf dieser Strecke auch gerne mal an Stellen überholt, an denen es - wahrscheinlich aus guten Gründen - verboten ist. Oft macht das langsamere Fahrzeug sogar Platz, fährt links auf einer Art Standstreifen und man bedankt sich einmal kurz mit dem Warnblinker. Da dieser Standstreifen aber auch oft von Fußgängern oder auch zum ein- und aussteigen genutzt wird, ist das ganze sicher auch eine ziemlich unfallträchtige Geschichte.
Erwischt! 2000 Rand sagt der gute Mann, Daumen in den Hosentaschen mit ernster Miene. Eigentlich muss das auf dem Polizeirevier gezahlt werden und dort erhält man dann auch eine ordentliche Quittung. Doch genau solche Situationen werden von den Polizisten auch gerne als Zusatzeinkommen genutzt, um ihr mageres Gehalt aufzubessern. Für 1000 Rand Cash lässt er uns weiterfahren. Sagt er. Ja, wir wissen, dass man das so nicht machen sollte. Doch die Anschuldigung ist berechtigt, das Prozedere spart uns auf jeden Fall Zeit. Geld? Das wissen wir nicht wirklich. Die verbliebene Strecke fahren wir deutlich vorsichtiger und hoffen dabei, dass die beiden Polizisten das Geld für die Schulbildung ihrer Kinder zurücklegen. Oder zumindest ihre Liebste zum Essen einladen.
Kurz vor unserem Ziel führt uns die Straße dann an unserem Heimatort vorbei. Auch in Südafrika gibt es ein Hamburg!
Am späten Nachmittag kommen wir endlich in unserem Guesthouse in Port Alfred an. Eine zauberhafte kleine Wohnung, hoch oben über der Stadt mit gigantischem Ausblick auf die tosende Brandung des indischen Ozeans. Besonders freuen wir uns über die Heizung, denn die Temperatur erinnert im Moment eher an kalte, windige Nordseetage. Tja, wir sind wieder in der Welt der Weißen gelandet.
Mein Fazit zu dieser langen Autofahrt:
Wir haben Eindrücke gewonnen, die wir auf den normalen "touristischen" Routen sicher nicht bekommen hätten. Doch wir waren nur Durchreisende, sind eher als Zaungäste in dieser Welt unterwegs gewesen. Es war wirklich anstrengend, darum würde ich das nächste Mal auf jeden Fall wieder fliegen, wenn ich aus KwaZulu-Natal in den Süden möchte. Doch verdient diese Gegend einen zweiten Blick, einen intensiveren. Bei irgendeiner folgenden Reise werden wir uns die Wildcoast mal genauer ansehen. Mit Zeit und Muße sich auf diese Gegend und ihre Menschen wirklich einzulassen. Denn was ich an Südafrika so faszinierend finde, sind die Menschen, die auch in eine Wellblechhütte ein Lachen zaubern können, obwohl sie unter schwierigen Bedingungen in eine ungewisse Zukunft schauen.
  



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen